„Wenn ihr mit eurer Kamera rausgeht, sagt euch selbst: ‚Heute bin ich Fotograf:in‘“.

Personen und Ereignisse16 Sep. 202510 min read
Nikon magazine - Fotobus society

Der preisgekrönte Fotograf, Professor und Gründer der Fotobus Society, Christoph Bangert, über die Rolle von Gemeinschaft und Übung für bessere Bilder

Christoph Bangert – ausgezeichnet als Kriegsfotograf – kehrte dem Krieg den Rücken und widmet sich heute der Lehre, um Studierenden die Stärke und Freude der Fotografie näherzubringen. Als Professor an der Universität Hannover beschloss er, dass die Studierenden mehr rausgehen sollten, um Projekte in der realen Welt anzugehen. Also kaufte er einen alten Bus, machte seinen Busführerschein und startete „Fotobus“. Inzwischen bietet die Fotobus Society das ganze Jahr über verschiedene Reisen an. In dem 32-sitzigen Bus reisen, leben und lernen Studierende aus aller Welt. Seit seiner Gründung im Jahr 2018 hat sich das Projekt zum größten studentischen Fotonetzwerk der Welt entwickelt. Inzwischen zählt es mehr als 1200 Mitglieder, die an über 30 Universitäten weltweit studieren. Da die Society ausschließlich durch Spenden und Partnerschaften (unter anderem mit Nikon) finanziert wird, zahlen die Studierenden weder für die Mitgliedschaft noch für ihre Projekte.

Fotobus bringt zwei Dinge zusammen, von denen Christoph leidenschaftlich überzeugt ist: dass man das Fotografieren am besten in der Praxis lernt und dass dies am schnellsten und einfachsten in Gesellschaft gleichgesinnter Menschen geschieht. Das Nikon Magazin hat sich mit Christoph zusammengesetzt und mit ihm darüber gesprochen, wie man die Fotografie verbessern kann, warum die Ausrüstung wichtig ist (und warum nicht) und wie man in der Gemeinschaft die Fähigkeiten einzelner verbessern kann.

Nikon magazine - Fotobus society

Beginnen wir mit dem Lernen. Sagen wir, unsere Leser:innen haben gerade ihre erste „richtige“ Kamera bekommen. Wie sollen sie sich verhalten?

Macht viele Fotos! Fotografieren lernen ist wie bei einem Musikinstrument. Man wird nur dann besser, wenn man es macht, immer und immer wieder – so wie man auf seinem Instrument übt. Manchmal muss man üben, auch wenn man keine Lust dazu hat. Erstellt einen Zeitplan. Sagen wir, es ist Sonntag. Ihr nehmt eure Kamera mit, wohin ihr auch geht. Die beste Art, besser zu werden, ist, jeden Tag zu fotografieren. Manche Menschen werden durch Reisen motiviert und machen Fotos davon. Oder wenn ihr ein anderes Hobby habt, z. B. einen Sport, nehmt eure Kamera dorthin mit. Das Wichtigste ist, dass ihr Fotos macht.

Nikon magazine - Fotobus society

Manche Menschen fühlen sich anfangs etwas unsicher mit einer Kamera, richtig?

Es ist eine echte Herausforderung. Heutzutage haben alle ein Smartphone, aber nur wenige laufen mit einer großen Kamera herum. Das sollte man umkrempeln. Sagt euch Folgendes: „Ich habe eine Kamera, heute bin ich Fotograf:in.“ Das ist das Tolle an der Fotografie – alle können sie praktizieren. Ich sage meinen Studierenden an der Universität immer, noch bevor sie überhaupt anfangen: „Ab heute bist du Fotograf:in“. Es ist eine Art Scherz, aber auch sehr ernst gemeint. Es ist eine wunderbare Sache, mit einer Kamera durch die Gegend zu laufen. Macht euch das zu eigen! Bittet immer um Erlaubnis, wenn ihr Fotos machen wollt – meistens sind die Leute damit einverstanden.

Nikon magazine - Fotobus society

Ausstellung von Anabelle Moghadam

Was ist, wenn man in einem Trott feststeckt und immer wieder die gleichen Bilder macht?

Es ist sehr schwierig, sich allein da wieder herauszuarbeiten. Tut euch also am besten mit anderen Menschen zusammen. Zwar ist es gut, online Leute zu treffen – es ist jedoch kein Ersatz für den persönlichen Kontakt mit anderen Fotobegeisterten. Zeigt euch gegenseitig eure Bilder, sprecht über Fotografie. Tretet einem Club bei – umgebt euch mit Menschen, die genauso verrückt nach Fotografie sind wie ihr selbst! Alle brauchen irgendwann Zuspruch. Wenn wir uns gegenseitig stützen, gewinnen wir alle. Meine Studierenden lernen mehr voneinander als von mir. Meine Aufgabe ist es, den Raum dafür zu schaffen. Sie können Fehler machen, experimentieren und sich gegenseitig inspirieren.

Nikon magazine - Fotobus society

Hilft es, sich mit verschiedenen Genres zu beschäftigen?

Absolut! Das ist das Schöne am Fotografieren. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich auszudrücken. Ich möchte, dass meine Studierenden all diese verschiedenen Arten der Fotografie erkunden und dann ihre Nische finden. Findet heraus, was euch motiviert – und seid offen für andere Bereiche. Denn dort lernt ihr mehr über die Fotografie und könnt das für euch nutzen.

Nikon magazine - Fotobus society

Wie wichtig ist die Ausrüstung?

Meinen Studierenden sage ich immer: „Nicht die Kamera, sondern der Mensch dahinter macht den Unterschied.“ Ihr könnt eine Vollformatkamera, eine mit APS-C-Sensor, eine günstige oder eine Profikamera haben. Ein Objektiv oder viele Objektive. Es ist egal. Das Wichtigste ist, dass man eine gute Ausrüstung hat, die man bedienen kann – mit der man gerne arbeitet und gute Ergebnisse erzielt. Und auch hier gilt: Probieren geht über Studieren. Es gibt kein richtig oder falsch. Das ist für manche anfangs verwirrend, aber im Endeffekt wunderbar und befreiend. Man schafft sich einen Raum, in dem man sich sagen kann: „Ich kann Dinge ausprobieren. Ich kann nichts falsch machen.“ Man muss auch Fehler machen können, sonst verliert man die Freude an der Arbeit.

Nikon magazine - Fotobus society
Christophs Top-Tipps zur Verbesserung eurer Fotografie
  1. „Ich habe absoluten Respekt vor allen Fotograf:innen jedes Genres, die voll in ihrer Arbeit aufgehen. Man soll keine halben Sachen machen. Und zwar unabhängig davon, ob man dafür bezahlt wird oder es gerade erst als schönes Hobby für sich entdeckt hat. Es zählt, wie ernst man die Sache nimmt.“

  2. Verwendet verschiedene Kameramodi. „Mein großes Geheimnis ist, dass ich meine Kriegsfotos aus Irak und Afghanistan für die New York Times immer im Programm-Modus aufnahm. Alle anderen fanden das verrückt – sie hielten alles manuell fest und waren stolz darauf. Ich habe Autofokus und P-Modus verwendet – und diese Bilder haben dann Preise gewonnen.“

  3. Liebt eure Ausrüstung. „Als Musiker muss man sein Instrument nicht nur kennen, sondern es vor allem auch mögen. Das Gleiche gilt für die Fotografie. Sucht euch eine hochwertige Ausrüstung, mit der ihr euch wohlfühlt, und lernt, sie vollständig zu beherrschen. Das Wichtigste ist, dass eure Ausrüstung eurer kreativen Vision nicht im Wege steht.“

  4. Für Kreativität gibt es keine Regeln. „Wenn ihr Porträts mit einem 35-mm-Objektiv aufnehmen wollt und es euch gefällt, dann tut es. Wenn ihr mit Modi fotografieren wollt, tut es – ich habe es auch getan. Spielt mit dem Beschnitt. Versucht es mit ungewöhnlichen Bildverhältnissen. Ich stelle nie infrage, was meine Studierenden mit ihren Kameras machen. Wenn sie mit dem Ergebnis zufrieden sind und gut belichten können, ist das in Ordnung.“

  5. Nehmt Bilder auf. „Nicht nur wird man besser, je mehr Bilder man macht – es hilft auch, die Liebe zur Fotografie zu erhalten.“

  6. Vernetzt euch mit anderen. „In ganz Europa gibt es Fotoclubs – die Nikon School bietet tolle Kurse und Workshops an, bei denen man viel lernen und andere Leute treffen kann.“
Nikon magazine - Fotobus society
Wie ist es, eine Fotobusreise zu machen?

Wir schauen hinter die Kulissen mit den Studierenden Paul Geiersbach und Carlotta Steinkamp

Was hat euch dazu bewogen, euch bei Fotobus zu bewerben?

Paul: Ich erfuhr von dem Programm, als ich mich bei der Universität bewarb. Damals war ich noch in der Schule und kannte niemanden, der sich so sehr für Fotografie interessierte wie ich. Mir gefiel der Gedanke einer großen Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt, Ideen und Geschichten austauscht und voller Neugierde auf die Fotografie im Allgemeinen ist.

Welche Reisen habt ihr bereits unternommen?

Paul: Ich war schon fünfmal dabei. Meine erste war im Frühjahr 2023 nach Bad Münder. 2024 ging es nach Leipzig. Dann nochmals Bad Münder und schließlich Arles und Paris.

Carlotta: Seit 2019 bin ich schon dabei und habe viele Veranstaltungen besucht. Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir jedoch die Rencontres d’Arles – ein internationales Fotofestival – im Jahr 2024.

Nikon magazine

Die Fotografiestudierenden in Arles hatten uns eingeladen, den Bus in L’Archipel zu parken und zu unserer Ausgangsbasis zu machen. Vor Ort gab es Portfoliobesprechungen, unser Fotobuch Dummy, die Ausstellung der Library Awards und jeden Abend eine Diashow mit Arbeiten von Fotobusmitgliedern. Mit gefiel besonders die Atmosphäre während der Diashows, wenn alle die Werke der anderen betrachteten und bewunderten. © Paul Geiersbach

Wie war es?

Paul: Einfach großartig! Man lernt so viele neue junge Leute kennen, die sich genauso sehr für die Fotografie interessieren wie man selbst. Ich habe unzählige faszinierende Gespräche mit anderen über Fotografie geführt, die ich sonst nie gehabt hätte.

Carlotta: Arles ist jedes Jahr wie ein Klassentreffen für Fotograf:innen! In der Eröffnungswoche wird der Bus selbst im Hof einer Fotografieschule geparkt. Dort stellen wir dann Fotobücher auf Klapptischen aus, führen Künstlergespräche mit bekannten Fotograf:innen und veranstalten gemeinsam mit der Schule ein Fest. Egal, wo der Fotobus geparkt ist, er ist immer eine zentrale Anlaufstelle, wenn man in der Stadt unterwegs ist.

Nikon magazine

Ausstellung unseres Fotobuchs Dummy auf dem Polycopies Festival in Paris. Auf jeder Reise schreiben wir eine Postkarte an alle unsere Fördermitglieder, in der wir uns bedanken und kurz beschreiben, wo wir sind und was wir machen. Insgesamt sind das jedes Mal etwa 300 Postkarten. © Paul Geiersbach

Was hat euch bei der Reise nach Arles am besten gefallen?

Peter: Mit unseren Klapprädern durch die Stadt zu fahren. Es ist wirklich cool – der Bus hat fast 100 Fahrräder. Jedes Mal, wenn man dann durch die Stadt fährt und jemanden auf einem Fahrrad sieht, grüßt man ihn – auch wenn man ihn nicht kennt. Am Abend kommt man dann zusammen und isst, was gemeinsam für alle gekocht wurde.

Carlotta: Mein schönster Moment im letzten Jahr war, als viele Fotobus-Studierende eine kleine Ausstellung besuchten, die ich mit ein paar anderen in einer kleinen Galerie in Arles ausgerichtet hatte.

Nikon magazine

In Leipzig konnten wir im März letzten Jahres im Atelier eines unserer Mitglieder wohnen und haben uns wie immer selbst verpflegt. Obwohl wir viel improvisieren mussten, hat alles geklappt und alle waren gut versorgt! © Paul Geiersbach

Wie hat die Reise eure Fotografie verbessert?

Carlotta: Ihr bekommt unglaublich viel Inspiration aus den Ausstellungen großer Fotograf:innen und wenn ihr ihnen zuhört, wie sie über ihre Arbeit sprechen. Das hilft euch immer dabei, eure eigenen fotografischen Ansätze zu reflektieren und zu verbessern.

Peter: Genau, auch mich hat der Anblick dieser erstaunlichen Projekte visuell stark beeinflusst. Außerdem finde ich die Vorträge während der Busfahrt sehr interessant. Es ist toll zu hören, wie Leute wie Alec Soth, Gregory Halpern, Anastasia Taylor-Lind, Rafał Milach, Sabiha Çimen und viele andere ihre Projekte entwickelt haben. Das Lernen durch Zuhören und gemeinsames Austauschen hat mir sehr dabei geholfen, meine eigenen fotografischen Geschichten zu entwickeln und meine Bilder objektiv zu betrachten. Ich habe Möglichkeiten erhalten, die ich mir als normaler Fotostudent nie hätte vorstellen können.

Nikon magazine
Nikon magazine
Oben/links: Fotostudierende machen bei Sonnenuntergang ein Picknick an der Rhone. Ein paar Stunden später legte ich am selben Ort als DJane auf, als sich das Picknick in eine Party verwandelte. Unten/rechts: Ein rotes Handtuch auf einem Plastikstuhl auf dem Campingplatz „Camping City“, wo die Fotobusmitglieder wohnten. Ich liebe die roten Details im Kontrast zur grünen und blauen Umgebung. © Carlotta Steinkamp

Wie wichtig war die Zusammenarbeit und das gegenseitige Lernen?

Peter: Für mich war das sehr wichtig, vielleicht sogar am wichtigsten. Manchmal geht es nicht einmal um die Fotografie, sondern einfach um das Leben im Allgemeinen. Aber selbst wenn jemand einen kleinen Workshop zu einem bestimmten Thema organisiert, um seine Fähigkeiten weiterzugeben, ist das eine niedrigschwellige Möglichkeit, etwas zu lernen.

Carlotta: Genau. Fotobus ist eine Art Heimwerkerprojekt für die Studierenden. Wenn es während der Reise Probleme gibt, ist immer jemand da, der weiterhelfen kann. Jeden Tag bilden wir Gruppen für die anfallenden Aufgaben, wobei alle selbst entscheiden, was sie am besten können oder was sie am meisten interessiert.

Weitere Informationen über Fotobus findet ihr hier.

Teilen

Mehr Inspiration

INSPIRATION

Neu bei Nikon?

nikon-image

Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf